Reverse Order

(English Text follows the German)

Es ist durchaus stimmig, dass das geistige Bild einer durch Abwesenheit glänzenden Plastik im Zentrum der Ausstellung „Reverse Order“ steht – vereint die Schau doch Künstler, die Gedanken durch ihren spielerischen Umgang mit Berührbarem und Sichtbarem sinnfällig machen. Während der ersten Wochen sind Betrachter gehalten, sich die Plastik Polar Spectrum des Künstlerkollektivs Troika im Ausstellungsraum vorzustellen, denn die Arbeit wird bis zum 14. Juni im Bieler CentrePasquART gezeigt und erreicht die Anne Mosseri-Marlio Galerie erst am Folgetag.

Mit ihrer grossen, von der Decke hängenden Arbeit Polar Spectrum (2015) erörtert die in London tätige Troika (Conny Freyer [DE], Eva Rucki [DE] und Sebastien Noel [FR]), wie zwei Formen zugleich exemplifiziert sein können, obwohl sie doch diametrale Gegensätze zu sein scheinen. Von einem geeigneten Standort aus entsteht der Eindruck, als blicke man durch eine grosse Röhre mit kreisförmigem Querschnitt – aber das, was man erblickt, erscheint kurioserweise wie quadratisch eingerahmt. Vom anderen Ende aus ist es genau umgekehrt: Der Querschnitt ist quadratisch, doch das Gesehene erscheint in einem runden Rahmen. Diese Eindrücke sind flüchtig und ihre Orchestrierung verlangte den Bau eines schwarzen halskragenähnlichen Gebildes (von aussen mit Graphit beschichtet, von innen beflockt), dessen beachtliche Dimensionen von den entsprechenden Standorten aus verborgen bleiben: Es wird zu einer flachen Schablone, die das Gesichtsfeld an der Peripherie begrenzt und den Blick hindurch freigibt. Auch Larry Bells Cube #1 (2008) arbeitet mit einem Zusammenspiel, doch die Studie des US-amerikanischen Künstlers ist in erster Linie eine des Lichts. Seine Arbeit in „Reverse Order“ ist Teil einer noch nicht abgeschlossenen Reihe von Glaswürfeln, die auf transparenten Sockeln ruhen. Bewegt man sich um den Würfel herum, so sieht man, wie das Material Licht einfängt, es reflektiert und überträgt, all dies dank feiner, unter Vakuum aufgebrachter Beschichtungen aus Inconel und Siliziummonoxid.

Mögen die C Drawings von Tobias Putrih (SI) zunächst vergleichsweise unzweideutig erscheinen, so verweigern sie sich doch, die ihnen innewohnende Logik zu offenbaren. Jede Zeichnung ist eine Ansammlung zahlloser Tintenpunkte auf Papier, die sich zu einer lockeren Kugelgestalt aufbauen. Die Reihe hat sich über mehrere Jahre hinweg entwickelt. Anfänglich beruhten die Zeichnungen erkennbar auf der geodätischen Form von Buckminster Fullers utopischen „Cloud Nine“-Kugeln. Heute ist es so wie mit den Wolken, Dämpfen oder Schwärmen, denen sie ähneln: Wo ein Muster zutage tritt, dort verschwindet es auch schnell wieder. Die organischen, unregelmässigen Formen in Troikas Zeichnungen, die wie Cartography of Control (2014) und Path of Least Resistance (2014) durch Flämmen von Papier mit elektrischer Ladung gefertigt wurden, entstehen durch einen spielerischen Ansatz, Prozesse zu kontrollieren, die sich von Natur aus der Kontrolle entziehen. Die angesengten Linien werden durch das Papier gebrannt, indem elektrischer Strom den Widerstand des Materials zu überwinden versucht, zum Beispiel dort, wo das Papier zuvor mit Wasser getränkt wurde. In seinem Streben, den Stromkreis zu schliessen, folgt er zahlreichen falschen Fährten wie auch Wegen, die zum Erfolg führen. Wie der Strom „weiss“, wohin er gehen soll, ist zum Teil unvorhersehbar. Auf ähnliche Weise fängt auch Troikas Labyrinth (2014) einen Prozess ein, der verstanden, jedoch nicht einfach vorhergesagt oder geplant werden kann: Rauch, der sich seinen Weg durch eine labyrinthische Struktur bahnt. Die Russspuren machen kenntlich, wie sich der Rauch „entschieden“ hat, durch die Pfade und Sackgassen der ihn einengenden Umgebung zu navigieren.

Diese Arbeiten sind durch verschiedene Strategien geprägt und definiert. Bell ist dafür bekannt, dass er sich auf die Möglichkeiten konzentriert, die ihm Bezugssysteme wie ein Würfel oder eine – in seinen Worten – „stehende Wand“ bieten; er hat Jahrzehnte damit verbracht, die Auswirkungen kleinster Veränderungen seiner Medien innerhalb dieser Systeme zu erkunden. Dennoch lässt sich sein Ansatz als intuitiv und improvisiert charakterisieren. Die Troika-Künstler definieren häufig enge Parameter für ihre Arbeiten, bevor sie dann bewusst einen Faktor einbringen, der nicht kontrolliert werden kann. So entdecken sie Grenzen des planvoll Gestaltbaren in Arbeiten mit Rauch und Russ oder elektrischem Strom. Wenn sie all die ihnen zur Verfügung stehenden modernen und traditionellen Werkzeuge nutzen, an welcher Stelle überschreiten sie die Grenzen des Vorhersehbaren? Tobias Putrih hat bekanntlich ein Physikstudium begonnen und abgebrochen und kehrt doch immer wieder zu wissenschaftlichen Verfahren zurück. In Anlehnung an einen wissenschaftlichen Ansatz bieten ihm Hypothese, Experiment und Ergebnis fruchtbare Wege, seine Arbeiten zu planen und zu inszenieren, von Zeichnungen bis hin zu grossen Konstruktionen im Raum. Eine weitere Strategie besteht darin, Formen anderer Wissenschaftler oder Designer in einem künstlerischen Kontext auf neue Art zu rekonstruieren. Putrih wuchs in Titos Jugoslawien auf und erkannte als junger Künstler den grossen Unterschied zwischen dem objektgetriebenen westlichen Kunstmarkt und dem slowenischen Umfeld, in dem es einen nach Objekten verlangenden Markt nicht gab. Nicht bereit, sich einen Kontext auf Kosten des anderen zu eigen zu machen, nutzt Putrih die oben genannten Praktiken, etwas zu schaffen und zu bauen, diesem aber nicht den Status eines fertigen Kunstwerks zu verleihen. (Troika und Bell schaffen ebenfalls Objekte, die in ihrer Dinghaftigkeit ambivalent erscheinen: Bells Würfel sind verführerisch, doch ihre Anziehungskraft liegt darin, wie sie das Licht – etwas Ungreifbares – einfangen. Und auch Troikas Plastik kippt ins Zweidimensionale, trotz ihrer unbestreitbar raumgreifenden Präsenz.)

Die Ausstellung „Reverse Order“ lenkt den Blick auf unbeständiges Territorium und hält vorübergehende Momente fest. Flüchtigkeit ist nicht nur in Putrihs fortlaufender Arbeit mit Kinos zu sehen, sie zeigt sich auch in Bells Würfel – einem exakt umrissenen und sich dennoch stets ändernden Ding – und Troikas Plastik, die einen kurzen Blick visueller Abstraktion erzeugt, oder den Papierarbeiten, die eine elektrische Ladung erstarren lassen oder Rauchspuren fixieren. Putrih hat den Alchemisten als beneidenswerte Gestalt der Geschichte genannt, da jener den Glauben an Mystisches oder Spirituelles mit rationalem wissenschaftlichem Bemühen verbinden konnte. Vielleicht ist es nun die Rolle der Künstler, diese Positionen wieder zu vereinen, sich Wissenschaft und Technik zunutze zu machen, ohne einen Sinn für Freiheit und Wunder zu verlieren.

Original English text by Aoife Rosenmeyer

REVERSE ORDER : Troika, Tobias Putrih, Larry Bell


It is an apt case of happenstance that the mental image of an absent sculpture is at the heart of a show uniting artists that make ideas manifest, each playing with the tangible and the visible in so doing. For the first five weeks of the exhibition ‘Reverse Order’ the viewer must imagine Troika’s sculpture Polar Spectrum within the exhibition space. (The work will be on show at the Centre Pasqu’Art in Biel until June 14 th arriving in Basel on June 15 th.)

With Polar Spectrum (2015) London-based collective Troika (Conny Freyer, DE, Eva Rucki, DE and Sebastien Noel, FR) consider how two forms can co-exist even if one would appear to be the polar opposite of the other. When the viewer finds the right point at either end of the large, suspended work they can see either a square within a circle or a circle within a square. These impressions are fleeting and their orchestration required the construction of a huge collar-like tube. This tube’s skin is black, with a coating of graphite on the outside and flocked within; though the viewer cannot overlook its large volume, from the spots where the shapes are evident, it momentarily becomes a flat form at the periphery of the viewer’s sight that frames the view inside. Equally, Larry Bell’s work Cube 1 (2008) works with concurrence, though the American artist’s study is primarily of light. His work in ‘Reverse Order’ is one of an ongoing series of glass cubes that hover above clear plinths; as the viewer moves around them the material is seen to hold light, to reflect and to transmit it, thanks to fine inconel and silicon monoxide coatings applied in vacuum conditions.

If the C Drawings from Tobias Putrih (SI) seem at first unambiguous in comparison, they do not, however, reveal their logic. Each is a collection of countless ink marks on paper, building up to a loose sphere form. The drawing series has evolved over several years, initially recognisably based on the geodesic form of Buckminster Fuller’s utopian ‘Cloud Nine’ domes. Now, as with the clouds or steam or swarms they resemble, where a pattern emerges, it quickly dissolves. The organic, irregular forms of Troika’s drawings made by burning paper with an electric charge such as Cartography of Control (2014) and Path of Least Resistance (2014) emerge from their play with controlling processes that are, inherently, beyond control. The singed lines are burnt through paper as a current tries to overcome the material’s resistance, where the paper was saturated with water, for example. As it strives to close the circuit it follows numerous false leads as well as successful routes. How the current ‘knows’ where to go retains an element that is unforeseeable. Similarly, Troika’s work Labyrinth (2014) captures a process – of smoke finding a way through a labyrinthine structure – that can be understood but not predicted or planned. The soot traces where heat has flowed mark how the soot chose to navigate the paths and dead ends of the environment that constrained it.

Different strategies inform and define these works. Bell is renowned for his focus on the possibilities offered by frameworks such as a cube or what he calls a ‘standing wall’, and has devoted decades to the exploration of the effects of minute variations of his media within these. Nonetheless, his approach is characterised as intuitive and improvised. Troika frequently define tight parameters for their works before deliberately introducing an element that cannot be controlled. They thus discover the limits of what can be designed in works with soot or electric current. Using all the contemporary and traditional tools at their disposal, at what point do they exceed that which can be predicted? Tobias Putrih famously started and dropped out of a degree in physics but returns repeatedly to scientific methods. Borrowing a scientific approach, hypothesis, experiment and outcomes are fruitful ways of planning and enacting his works, from drawings to large built structures. Another strategy is the reconstruction of other scientists’ and designers’ forms anew within an art context. Putrih grew up in Tito’s Yugoslavia, and as a young artist he discovered the disparity between the object-driven Western art world and the Slovenian environment where no such market demanding objects existed. Unwilling to embrace one context at the expense of the other, the aforementioned practices are a means for him to make and build while eliding the status of a completed artwork. (Troika and Bell also create objects that seem ambivalent about their positions as things: Bell’s cubes are seductive, but their attraction lies in how they capture light, something intangible. So too Troika’s sculpture tips into a two-dimensional state despite its indisputably large presence.) 

The exhibition ‘Reverse Order’ focuses on unstable territories, grasping transitory moments. Seen in Putrih’s ongoing work with cinemas, ephemerality is found likewise in Bell’s cube – a precisely delineated but nonetheless ever-changing thing – and Troika’s sculpture that generates just a glimpse of visual abstraction, or their works on paper crystallising a charge or fixing smoky traces. Putrih has cited the alchemist as an enviable figure from history, one who could combine a belief in the mystical or spiritual with rational scientific endeavour. Perhaps it is now the role of the artist to reunite these positions, to harness science and technology yet not to lose a sense of freedom and wonder.

Aoife Rosenmeyer

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